Fünf Thesen für eine hochwertige Baukultur

    Baukultur ist ein viel diskutiertes Thema. Schon allein die vielen Einsprachen beim Bau verdeutlicht dies. Und trotzdem sind sich fast alle einige, dass eine hohe Baukultur wichtig und wünschenswert ist. Doch: Was ist eine hohe Baukultur?

    In den letzten Jahren war Baukultur vor allem in Kreisen von Historikern und Denkmalschützern ein Thema. Doch Baukultur ist auch für die Gegenwart und Zukunft wichtig. Die Diskussionen in Kreisen von Architekten und Städtebauern haben zur Erkenntnis beigetragen, dass Baukultur nicht nur durch das Engagement der Architekten entstehen kann. 

    Sondern auch das Ziel gehört dazu, Baukultur zu produzieren, und andere Beteiligte wie Behörden, Entwickler und Politikerinnen dafür zu sensibilisieren. Alle diese Akteure tragen zu verschiedenen Zeitpunkten und in verschiedener Art und Weise ihren Teil zur Produktion von Baukultur bei.

    Überblick schaffen
    Um den Stand der Diskussion zu systematisieren, hat die Stiftung Baukultur Schweiz fünf Thesen veröffentlich. Sie sind der Versuch, einige der Bedingungen zu definieren und die Grundlagen für das Entstehen einer hochwertigen Baukultur zu bilden.

    Dabei steht im Mittelpunkt, dass die Konzeption, Realisierung und Pflege der gebauten Umwelt kulturelle Arbeit und Reflexion erfordert. Die qualitative Entwicklung und Erhaltung einer gebauten Umwelt ist nicht einfach eine Dienstleistung, sondern eine vollwertige kulturelle Tätigkeit, die als gleichwertig mit anderen kulturellen Aktivitäten angesehen werden muss.

    Eine hochwertig gebaute Umwelt erfordert eine Kultur des ständigen Reflektierens und Diskutierens. Ohne eine solche Kultur ist die Einordnung von Gebäuden in einen grösseren städtischen, sozialen und ökologischen Kontext schwierig.

    Thesen und Themen
    Die Thesen werden in einer Broschüre weiter erläutert und mit Beispielen greifbar gemacht. Die Beispiele berücksichtigen die hochwertige Baukultur im In- und Ausland, etwa in Lugano, St. Gallen, Bordeaux, Florenz und Barcelona. Die Thesen sind:

    1. Baukultur erfordert die Auseinandersetzung mit der Geschichte und der Zukunft der Stadt.
    2. Baukultur stützt sich auf gemeinsam entwickelte übergeordnete Visionen.
    3. Baukultur verbindet Städtebau und Architektur.
    4. Baukultur entsteht aus einer entwurfsorientierten und ortsspezifischen Planung.
    5. Baukultur braucht sorgfältig organisierte und offene Planungsprozesse.

    Diese Thesen sollen die weitere Diskussion um die Baukultur in der Schweiz prägen. Das Ziel ist, die hohe Baukultur im Land zu erhalten, zu pflegen und weiterzuentwickeln. Die Thesen haben aber auch einen praktischen Einfluss. Sie diesen als Hilfe für Bauherren und Behörden.

    Starke Stimme
    Baukultur hat in der Schweiz eine neue gewichtige Stimme bekommen. In der Stiftung Baukultur spannen öffentliche Hand, Verbände, Privatwirtschaft und Wissenschaft zusammen. Die Stiftung will den Dialog unter den Akteuren festigen, das Bewusstsein für hohe Baukultur in der Bevölkerung stärken sowie die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Bereich der Baukultur fördern.

    Die Stiftung Baukultur Schweiz ist eine nationale, neutrale und politisch unabhängige Stiftung. Im Frühjahr 2020 gegründet, bringt sie Akteure zusammen, schafft Plattformen, initiiert Prozesse und macht sich stark für jene, welche die Grundlagen der Baukultur inhaltlich ausarbeiten oder diese in der Praxis umsetzen. 

    Die fünf Thesen mit Beispielen können kostenlos heruntergeladen werden unter: 

    www.stiftung-baukultur-schweiz.ch 

    Henrique Schneider

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    Beispiele hochwertiger Baukultur

    (Bild: Pexels) Vision von Salvador Rueda: Superblocks in Barcelona.

    Der «Superblock» als ökologische Umbauvision für die Stadt Barcelona.
    Mit der Vision einer ökologischeren und lebenswerteren Stadt entwickelte Salvador Rueda zusammen mit Behörden und Bevölkerung in Barcelona das Superblock-Modell. Es stellt eine Antwort auf die Belastung der Bewohner durch den Stadtverkehr und seine Immissionen dar. Indem der Autoverkehr um grössere Blockeinheiten (Superblocks) herumgeführt wird, entstehen im Innern der Superblocks grosse verkehrsfreie, ruhige Zonen, in denen die Strasse dem Aufenthalt und dem Spiel dient. Das Prinzip dehnt sich über immer mehr Häuserblöcke aus. Die Idee wurde auch von anderen Städten übernommen.

    (Bild: Pexels) Die Idee der «Horizontalen Stadt» in Bordeaux.

    Weiterführen der Baugeschichte in Florenz
    Die Verbindung von Baukultur aus verschiedenen Jahrhunderten, die Erneuerung durch Kontinuität schafft Ergebnisse, die heute noch bestehen. So z.B. die Piazza della Santissima Annunziata in Florenz aus der Renaissance, die von der Kirche und von Gebäuden aus derselben Epoche umrahmt ist. Auf der einen Seite des Platzes steht das Spedale degli Innocenti, eines der ersten Werke von Filippo Brunelleschi (1419) mit einem Portikus. 100 Jahre später baute Antonio da Sangallo il Vecchio auf der gegen überliegenden Seite des Platzes für die Bruderschaft der Servi di Maria 1525 eine spiegelbildliche Reproduktion dieses Portikus, was dem Platz bis heute eine wunderbare Harmonie gibt.

    Sorgfältige Verdichtung mit Erhalt der Natur in der Stadt Bordeaux
    Am Beispiel der Entwicklungsplanung des grossen Wohnquartiers Caudéran in Bordeaux sieht man die Idee der «Horizontalen Stadt». Das Gebiet Caudéran mit Kleinbauten und Gärten («La ville jardin») lässt sich trotz Verdichtung auch künftig mehrheitlich horizontal als Gartenstadt weiterentwickeln. Bei dieser Transformation stellt sich die Frage nach der Architektur in einem grösseren Massstab. Es geht darum, herauszufinden, wie ein Wohnquartier in der Stadt mit tiefer Dichte nachhaltig weiterentwickelt werden kann. Die Logik der Optimierung des Bestehenden – ob privat oder öffentlich, grün oder überbaut – erlaubt uns eine sanfte Transformation dieser Nachbarschaften in ein nachhaltiges Quartiermodell. Aus diesem ortsspezifischen Entwurf entstand schliesslich ein Zonenplan.

    (Bild: pixabay) In der Hamburger HafenCity stellt der öffentliche Raum einen robusten und nachhaltigen Rahmen für die Gebäude dar.

    Eine neue Vision für eine nachhaltige Weiterent­wicklung der Stadt Lugano
    Das Studio Paola Viganò gewinnt 2021 den Wettbewerb für den neuen Kommunalen Richtplan (PDCOM, 2021) der Stadt Lugano mit einer überzeugenden Vision für das weitere Selbstverständnis der Stadt und mit Umsetzungsvorschlägen in vier Themenfeldern, an denen die Bevölkerung aktiv mitwirken kann: Lugano, eine kleine globale Stadt / Lugano, Stadt der Dörfer und Quartiere / Lugano als Stadtlandschaft / Lugano, ein resilientes Territorium.

    (Bild: Wikimedia.org/SamuelFerrara) Die Stadt Lugano soll nachhaltig weiterentwickelt werden.

    Steter Ausgleich zwischen «top down» und «bottom up» in der HafenCity Hamburg
    Der Masterplan für die HafenCity wurde von Kees Christaanse (KCAP) gewonnen und er hat danach über 20 Jahre daran weitergearbeitet. Die HafenCity ist ein Beispiel für ein sogenanntes «Grand Projet», in dem der öffentliche Raum einen robusten und nachhaltigen Rahmen für die Gebäude darstellt, die in einem Set von Guidelines definiert sind. Dies führt gleichzeitig zu «Kontrolle» und «Laisser-faire»: Während man die Kohärenz des städtebaulichen Konzepts kontrolliert, lässt man gleichzeitig Spielraum für programmatische und architektonische Diversity. Nicht nur «top down» oder nur «bottom up» – es braucht den Ausgleich von beidem.

    (Bild: © Schweizerisches Bundesverwaltungsgericht, St.Gallen) Der Neubau des Bundesverwaltungsgerichts in St. Gallen.

    Baukultur am Beispiel eines öffentlichen Gebäudes in St. Gallen
    Werner Binotto, ehemaliger Kantonsbaumeister St. Gallen, sieht in seinem Kanton generell wenig gute Beispiele für hohe Baukultur, vieles sei monetär gesteuert. Als gutes Beispiel in der Stadt St. Gallen nennt er das neue Bundesverwaltungsgericht, bei dem die Bauherrschaft (Juristinnen und Juristen des Bundes verwaltungsgerichts) mit den Architekten Stauffer Hasler und mit dem Kanton eine gute städtebauliche und architektonische Lösung gefunden hat. Fazit: Baukultur braucht gute Bauherrschaften und gute Architektinnen und Architekten sowie eine pro aktive Behörde.

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